Präsenz zeigen: Wie Führungskräfte ihre Mitarbeiter in der Krise mitnehmen

Unser Land schleppt sich durch einen weiteren Winter ohne Aufschwung. Hohe Energiepreise. Anhaltende Inflation. Keine politischen Impulse für neue Ideen in der Wirtschaft. Überall winken neue Kriege und Bedrohungen. Und das seit vier Jahren.

 

Eine aktuelle Umfrage des PINKTUM Institute unter der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland bringt zu Tage, dass jeder zweite (49%) angibt, dass er in den letzten drei Jahren deutlich an Kraft für die Arbeit eingebüßt hat. Und jeder dritte gibt an, dass er zu wenig Kraft für die tägliche Arbeit hat. Als größte Krafträuber werden die unzufriedenstellende Lösungskompetenz der Politik (46%) und die Vielzahl der Krisen (43%) genannt.

 

Die Menschen sind rastlos und erschöpft. Dies zeigt sich unter anderem auch in der Anzahl der Krankmeldungen. Laut einer ersten Hochrechnung der DAK, kommen die Betriebe auf 20 Fehltage pro Beschäftigten – seit langem ein Rekord.

 

Gleichzeitig stehen unsere Betriebe vor den großen „D´s“ der kommenden Jahrzehnte, wie beispielsweise Dekarbonisierung, Demografie oder auch Digitalisierung. Ich bin mir sicher, dass es da noch ein paar weitere „D´s“ gibt, aber das ist hier nicht der Punkt.

 

Entscheidend sind die Weichen, die die Organisationen mit ihren Beschäftigten in den kommenden Jahren stellen müssen, um diese Themen zu meistern. Doch wie soll man das mit einer erschöpften Mannschaft machen?

 

Eine, die das sehr ernst nimmt, ist Kerstin Hochmüller, die Chefin des Antriebstechnikspezialisten Marantec. Mit 500 Mitarbeitern ist das Unternehmen ein klassischer Mittelständler aus Ostwestfalen. So beobachtet auch Kerstin, dass sich die Krankmeldungen und auch die Zeit, für die die Mitarbeiter ausfallen, in ihrem Betrieb deutlich erhöht hat. Was für einen großen Konzern noch vertretbar ist, kann für ein Unternehmen wie Marantec überlebenswichtig sein.

 

Wie geht sie mit dieser Herausforderung um? Kerstin hat für sich einen Weg gefunden. So setzt sie sich beispielsweise regelmäßig mit der Belegschaft in Kleingruppen (max. 15 Personen) zusammen, um diese immer wieder persönlich zu sensibilisieren. Darüber, dass sich die Welt verändert. Darüber, dass das Management einen Plan hat. Darüber, dass das Unternehmen eine Vision verfolgt. Darüber, was der Beitrag eines jeden einzelnen ist, um diese Vision möglich zu machen. Und natürlich wird sich auch darüber unterhalten, was die Belegschaft bewegt.

 

Natürlich nutzt dieses Angebot nicht jeder aus der Belegschaft gleich intensiv. Auch ist nicht jeder bereit sich zu öffnen, darüber, was ihn bewegt. Aber das entscheidende ist das Angebot. Und die Tatsache, dass Kerstin bei ihrer Belegschaft Präsenz zeigt und damit signalisiert: Ich bin da. Ich sehe euch mit euren Nöten und dem, was euch beschäftigt. Ich kümmere mich.

 

Kerstin Hochmüller ist übrigens nicht die Einzige, die den Wert ihrer Präsenz unter der Belegschaft kennt. Howard Schultz, der CEO von Starbucks, kennt ebenfalls den Stellenwert von „Präsenz zeigen“: „I´m always stopping by our stores – at least 25 a week. I´m also in other places: Home Depot, Whole Foods, Crate & Barrel. I try to be a sponge to pick up as much as I can.“ Starbucks hat über 35.711 Coffeeshops weltweit (31.12.2023). Howard besucht 25 von ihnen in der Woche.

 

Ein anderer, der diese Methode tief verinnerlicht hat, ist Reed Hastings, der Gründer von Netflix. Reed besitzt kein eigenes Büro. Stattdessen lässt er sich durch das Unternehmen treiben. Seine Assistenz vereinbart die Termine dort, wo die Mitarbeiter sitzen. Damit zeigt Reed Präsenz bei seinen Mitarbeitern und aufrichtiges Interesse an ihren Projekten. Und insbesondere an ihren Herausforderungen, denn jeder von uns trägt ein Päckchen mit sich, privat und beruflich.

 

Es ist eine Herausforderung, allein schon bei einem Unternehmen wie Marantec mit „nur“ 500 Mitarbeitern. Erst recht bei einem Laden wie Starbucks oder Netflix. Aber was bleibt einem übrig, wenn einem die Zukunft des Unternehmens nicht egal ist. Wenn einem die Menschen im Unternehmen nicht egal sind. Gestalten lässt sich die Zukunft nämlich nur mit ihnen, mit den Menschen, die das Unternehmen zum Leben erwecken. Und dazu muss man wissen, was sie bewegt.

 

(Inspiriert durch die Capital-Titelstory, 02/2024)

Kommentar schreiben

Kommentare: 0