Die Arbeitswelt ist ein komplexes Gebilde, mit zahlreichen Berufen und ebenso zahlreichen Tätigkeiten innerhalb dieser, mit unüberschaubaren Regelungen für Pflichten und Rechten oder auch Fördermöglichkeiten, mit Megatrends, die aktuell ihre geballte Kraft auf die deutsche Wirtschaft entladen, wie beispielsweise der demografische Wandel, die Dekarbonisierung der Wirtschaft oder auch die Digitalisierung.
Es gibt keine Pauschallösung für alle Unternehmen. Allein deswegen nicht, weil sich alle in einem unterschiedlichen Entwicklungsstadion befinden. Dazu kommen die unterschiedlichen Menschen, die die Unternehmen führen und die unterschiedlichen Menschen, die ein Unternehmen mit ihrer Tatkraft, ihrer täglichen Einsatzbereitschaft, ihrer Kreativität, ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen mit Leben füllen. All diese Menschen befinden sich ebenfalls in einem unterschiedlichen Entwicklungsstadion. Ideen, für die die einen offen sind, sagen den anderen überhaupt nichts. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass man sich ab und an die Zeit nimmt, um zu schauen, was die einen bewegt, und ob sie nicht Lösungen (Ideen) haben, die man selbst gebrauchen könnte.
Eine solche Möglichkeit bot sich mir letzte Woche auf der Auftaktveranstaltung für die Thementage „Transformation und Fachkräftesicherung“ der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit. Und ich möchte einen Gedanken, für mich ist es der Gedanken, der sich durch den ganzen Auftakt durchgezogen hat, hier mit dir teilen.
Allein die Location, Werkhof Hannover, wurde, so scheint es mir, nicht zufällig für dieses Event ausgewählt. Wer sich mit dem Werkhof Hannover auskennt, der wird wissen, dass das Unternehmen Hävemeier & Sander bis in die 80er Jahre an diesem Standort Aufzüge produziert hat. Warum das von Interesse ist? Nun, das Unternehmen hatte einen Slogan, der mich sowohl zum Schmunzeln als auch zum Nachdenken gebracht hat. Er lautete: „Was hier produziert wird, das geht steil nach oben.“ Hier handelt es sich natürlich um eine Anspielung auf die Produkte des Unternehmens. Was mich jedoch am meisten bewegt, ist die stolze Wortwahl dieses Slogans. Steil nach oben gehen nicht nur Aufzüge, sondern auch Menschen und deren Ideen, wenn man es denn zulässt. Was unter anderem die Aufgabe von Führungskräften ist.
Vor diesem Hintergrund sprach Johannes Pfeiffer (Geschäftsführer der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit) davon, dass es auf die Wortwahl ankommt, wenn man andere Menschen für das Neue gewinnen möchte. Hierzu ein Beispiel:
Im Deutschen sprechen wir davon „Abschlüsse“ zu erwerben, die uns das Erlernte bestätigen. Dabei übersehen oder viel mehr überhören wir, was das Wort uns unterbewusst mitteilt: Wir haben es endlich geschafft. Wir brauchen zukünftig keine Abschlüsse mehr ablegen. Abschluss -> Ab-schluss -> Schluss -> Game Over. Dabei ist gerade das Gegenteil der Fall. Heute, gefühlt mehr denn je, kommt es darauf an sich für die Zukunft zu qualifizieren. Man muss sich immer und immer wieder beweisen, dass man Teil der Zukunft sein darf. Oder wie es Johannes Pfeiffer sagte: „Es ist eine bewusste Entscheidung, sich für die Zukunft zu qualifizieren.“ Ein Game Over Mindset steht einem dabei nur im Weg.
Dr. Marc Bovenschulte (VDI/VDE Innovation + Technik GmbH) stellte in seinem Impuls dar, dass wir allein demographisch in die Vollbeschäftigung laufen. Was sich im ersten Moment gut anhört, zeigt bereits heute Auswirkungen, die viele Unternehmen spüren, und zwar den Fachkräftemangel. Es gibt wohl aktuell keine Branche, die händeringend nach Personal sucht. Der Markt ist wie leergefegt. Diese Situation gab es bereits in Deutschland, beispielsweise in den 50er und 60er Jahren. Damals bestand der Personalmangel aufgrund der zahlreichen Opfer im zweiten Weltkrieg. Doch Deutschland musste wieder aufgebaut werden.
Eine der Lösungen war damals Immigration. Es kamen Menschen unter anderem aus der Türkei oder aus Italien, um beim Wiederaufbau zu helfen. Und wenn man die aktuelle Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in die Zukunft schreibt, dann wird Immigration einen wichtigen Beitrag bei der Fachkräftesicherung leisten können und müssen.
Vor diesem Hintergrund ist Sprache wieder etwas, ohne das es nicht gehen wird. Sprache ist etwas, das verbindet, das eine gemeinsame Basis schafft. Sprache ist eine der Grundvoraussetzungen für erfolgreiche Immigration von Menschen, die aus dem Ausland kommen, um in Deutschland zu arbeiten. Aus diesem Grund plädiert Dr. Marc Bovenschulte dafür, dass der Erwerb der Sprache mehr „on the job“ erfolgen soll, anstatt des linearen Prozesses, wie es heute der Fall ist. Und als jemand, der ursprünglich aus Russland kommt, kenne ich den Wert von Sprache.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es damals bei mir war. In der ersten Klasse sagte ich nur einige wenige Wort und saß die meiste Zeit einfach nur stumm da. Ich sog alles auf, um dann ab der zweiten Klasse zu quasseln wie ein Wasserfall. Was mir regelmäßig Einträge bescherte, ich würde den Unterricht mit meinem Gerede stören. Heute habe ich das Sprechen zu meinem Geschäft gemacht. Wie passend ist da mein Nachname: Redekop. Rede.
Diesen Gedanken aufgreifend, berichtete Dr. Nina Lorea Kley (Geschäftsführerin der Feldbinder Spezialfahrzeugwerke GmbH), von neuen „ausländischen“ Mitarbeitern, die ihr Unternehmen für sich gewinnen konnte, einfach weil deren Familienmitglieder bereits im Unternehmen arbeiten. Der neue Mitarbeiter findet Unterstützung durch ein Familienmitglied, das „on the job“ in der Muttersprache übersetzen und Verständnis für den deutschen Ausdruck und die Arbeit schaffen kann.
Dieser Gedanke führte auch bei Dr. Sarah Saeidy-Nory (Hauptgeschäftsführerin der norddeutschen Chemieverbände) zu Resonanz, die sich in der chemischen Industrie stark macht für den Standort Deutschland und für eine unkomplizierte Fachkräftegewinnung aus dem Ausland plädiert.
Diese Gemengelage ist natürlich auch der Politik bewusst, die auch helfen möchte, sodass ich an dieser Stelle den niedersächsischen Arbeitsminister Dr. Andreas Philippi zitieren möchte: „Wir stellen am 29. November die neue Fachkräftestrategie Niedersachsen vor, wir wollen, dass damit was Großes gelingt. Wir werden künftig mehr ausprobieren: Mehr ‚Helfende Hände‘, mehr Arbeit vor Sprache.“ Mit Sprache meint er hier den linearen Prozess: Spracherwerb vor Arbeit.
Dass es zu überprüfen gilt, wie der aktuelle Erwerb der deutschen Sprache abläuft, gab auch Dr. Mehrdad Payandeh (Vorsitzender DGB-Bezirk Niedersachsen - Bremen - Sachsen-Anhalt) mit seiner Filmanalogie zu bedenken. Als die ersten Filme mit gesprochenem Dialog auf den Markt kamen, da dauerten die Dialoge ewig. Damals mag das zeitgemäß und auch ein Ausdruck der künstlerischen Kreativität gewesen sein, doch heute verliert man die Geduld. Und so geht es wohl auch dem ein oder anderen, der dabei ist sich der deutschen Sprache zu ermächtigen. Der Zeitgeist und die Umstände erwarten von uns effektive Dialoge, um die Transformation unserer Wirtschaft zu meistern.
Da ich selbst gerne Filme schaue, möchte ich mit dem Film „The King´s Speech“ abschließen. Diese wahre Begebenheit dreht sich um Prinz Albert (gespielt von Colin Firth), der auf der Abschlussveranstaltung der British Empire Exhibition im Jahre 1925 sprechen soll. Seine Nervosität und sein Stottern lassen die Ansprache jedoch zu einem Fiasko werden. Was den zukünftigen König vor große Herausforderungen stellt. Denn was für ein Signal sendet das an die Menschen, wenn ihr König nicht zu ihnen sprechen kann. Letztlich gelingt es dem Sprachtherapeuten und Gelegenheitsschauspieler Lionel Logue mit unkonventionellen Methoden dem König seine Nervosität zu nehmen und ihn vom Stottern zu befreien, sodass dieser sich an sein Volk wenden kann, um während der Kriegsjahre Durchhaltevermögen und Siegeswillen in den Menschen zu stärken.
Unkonventionelle Methoden und Sprache brachten den Erfolg. Beides Dinge, die auch wir brauchen, um den Wohlstand unseres Landes zu erhalten.
(Titelbild: Thomas Dick)
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