Als ich im Frühjahr 2009 mit meiner Frau zusammenkam, verbrachten wir als Frischverliebte jede freie Minute miteinander. Eine unserer Lieblingsbeschäftigungen war das Schauen von Blockbustern. Fast jedes Wochenende fuhren wir zu der Blockbuster Filiale unseres Vertrauens und liehen uns einen Film nach dem nächsten aus. Dazu noch eine Tüte Chio Tortillas mit Käse Dip und das Kino Feeling war perfekt. Nur deutlich preiswerter.
Von den einst 9.094 Blockbuster Filialen ist heute nur noch eine übrig geblieben, in Bend im US-Bundesstaat Oregon. Was war passiert? Wie konnte der einstige Platzhirsch, der Teil meiner Jugend war und mir zahlreiche tolle Abende beschert hat, von der Bildfläche verschwinden?
Zeitsprung: Wir schreiben das Jahr 2000 und Reed Hastings sitzt mit seinem Partner Marc Randolph im Büro von John Antioco, dem damaligen CEO von Blockbuster. Reed und Marc pitchen ihre Idee, Netflix an Blockbuster zu verkaufen. John hört sich alles in Ruhe an und fragt dann, was ihn der Deal kosten soll? 50 Millionen Dollar, antworten Reed und Marc. John sagt ab.
Zwei Jahre nach diesem Meeting ging Netflix für 50 Millionen Dollar an die Börse. Blockbuster war zu diesem Zeitpunkt noch 100x wertvoller als Netflix. Doch 2010 muss Blockbuster Insolvenz anmelden. Blockbuster hatte sowohl 2000 als auch 2002 alle Asse in der Hand und doch schaffte es das Unternehmen nicht von Vermietung der DVDs zum Streaming zu wechseln. Warum? In der Retroperspektive war Blockbuster durch und durch auf Effizienz getrimmt. Die zahlreichen Prozesse macht das Unternehmen profitabel. Als sich die Spielregeln jedoch änderten, Streaming und so, scheiterte Blockbuster daran sich anzupassen. Netflix ist heute 136 Milliarden Dollar wert und legte in den letzten 20 Jahren drei Mal eine Wende hin, dank der Learnings, die Reed bei seinem vorangegangenen Unternehmen gemacht hatte.
Eines dieser Learnings, ist Menschen über die Prozesse zu setzen. Mit anderen Worten, Kreativität frisst Effizienz. Bei seinem ersten Unternehmen, Pure Software, macht Reed den Fehler Prozesse zu etablieren, die das Unternehmen schwächten, weil Kreativität verloren ging. Wann immer etwas Dummes passierte, z.B. Hotelbuchungen für 700 Dollar die Nacht, installierte Reed einen Prozess, der das zukünftig verhindern sollte. Anstatt Prinzipien (Führe mit Kontext nicht Kontrolle.) zu etablieren, führte er immer mehr Leitplanken ein. Letztlich war Pure Software derart prozessgetrieben, dass es, ähnlich wie Blockbuster, sich nicht mehr an die neuen Spielregeln anpassen konnte. 1997 musste Reed sein Unternehmen an den größten Konkurrenten verkaufen.
Heute hält es Reed simpel. So besteht die „Richtlinie“ für Reisen, Geschenke und Bewirtung von Netflix nur aus sechs Wörtern: „Handle im besten Interesse von Netflix.“ Die „Richtlinie“ für Urlaub lautet: „Nimm Urlaub!“ Und die „Richtlinie“ für Elternzeit: „Kümmere Dich um Dein Baby und Dich selbst.“ Was das genau bedeutet, können die Mitarbeiter:innen selbst entscheiden.
Laut Reed funktioniert das, weil Netflix eine Organisation aus High Performern aufbaut und diese ständig voneinander lernen. Sie gebe sich gegenseitig Feedback und kontrollieren sich so quasi selbst. Dadurch braucht es keine oder nur wenige Prozesse.
Und noch etwas ist entscheidend. Hierfür möchte ich jedoch Produktivitäts-Experten James Clear bemühen: „Leadership begins with your behavior. What’s more powerful? A manager or coach or teacher who tells you the right thing to do? Or one who shows you how to live and work by example? People gravitate toward the standard you set, not the standard you request.“
Wenn Du das Thema „Leadership im 21. Jahrhundert“ vertiefen möchtest, dann kann ich Dir das Netflix Culture Deck empfehlen. Ich bin ein großer Fan.
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