„Du isst verdammt langsam, Georg“, sagte meine Frau neulich zu mir beim Abendessen, nachdem sie ihre Portion regelrecht vernichtet hat, weil sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte. „Das stimmt“, gab ich ihr zurück. Dabei ist sie nicht die erste Person, der das auffällt. Jedoch anders als die anderen weiß sie, warum das so ist.
Zunächst einmal wird man durch das langsame Verspeisen einer Mahlzeit schneller satt. Also, man wird natürlich immer gleich schnell satt. Aber durch das in die Länge ziehen der Mahlzeiteinnahme passiert das noch während der ersten Portion, sodass man keinen Hunger auf eine weitere Portion verspürt. Das wiederum ist gut für die Figur.
Doch das ist nicht der entscheidende Grund für mein langsames Essverhalten. Der wahre Grund stellt ein Ritual dar, das ich seit etwa anderthalb Jahren bei jeder Mahlzeit praktiziere. Es hilft mir zu entschleunigen, in einer Welt, die buchstäblich jeden Tag aufs Neue dabei ist sich zu überschlagen. Und es hilft mir ins Gedächtnis zu rufen, warum ich beruflich tue, was ich tue.
Mein Ritual ist einfach. Bevor ich den ersten Bissen zu mir nehme, danke ich für die Mahlzeit, die vor mir steht. Und anschließend danke ich bei jedem Bissen all den Menschen, die dafür gesorgt haben, dass diese Mahlzeit vor mir steht und mir die notwendige Energie gibt.
Achtsames Einnehmen einer Mahlzeit tut nicht nur unserem Körper gut, sondern auch unserer Psyche. (Bild: Vishnu Sriraj/Pexels)
Ich fange an bei den Menschen, die die Mahlzeit zubereitet haben. Anschließend danke ich den Menschen, die diese Menschen ausgebildet haben, gefolgt von den Menschen, die die Kochutensilien hergestellt haben. Es folgen die Menschen, die die Maschinen und Anlagen zur Herstellung der Kochutensilien entwickelt und hergestellt haben. Und natürlich danke ich auch den Menschen, die auf die Kinder dieser Menschen aufgepasst haben.
Dann sind da noch all die Menschen, die die Kleidung produzieren, damit wir nicht nackt rumlaufen müssen. Menschen, die schwierige Entscheidungen treffen mussten. Menschen, die in den Krieg gezogen sind, damit ich heute in einem Land leben kann, in dem Frieden herrscht. Die Kette an Menschen, denen ich dankbar bin, geht über den gesamten Planeten und all die Jahrhunderte zurück, bis zu den ersten Menschen, die ihre Mahlzeiten gegen einen Säbelzahntiger in der Eiszeit verteidigen mussten, oder so. Eben dort, wo alles für uns Anfing.
Ich denke, Du hast es erfasst, was ich meine. Und der Punkt ist, dass Du und ich, wir alle stehen heute an der Spitze dieser Menschen, die uns vorweggegangen sind. Und ich weiß nicht, wie es Dir mit diesem Gedanken geht, aber ich verspüre tiefe Dankbarkeit, denn alle Menschen tragen zu meinem Erfolg bei. Das ist die Konsequenz aus meiner Dankbarkeitsübung.
Gleichzeitig verspüre ich auch eine Verantwortung allen Menschen gegenüber, auf die ich Einfluss nehme, denn diese Menschen nehmen Einfluss auf andere Menschen und damit nehme ich Einfluss auf die gesamte Menschheit, die aktuell auf dieser Erde wandelt und zukünftig wandern wird. Ein ziemlich großer Gedanke, oder?
Es gab mal eine Studie, die festgestellt hat, dass jeder von uns über fünf oder sechs Kontakte mit der ganzen Menschheit bekannt ist. Jeder ist für jeden verantwortlich.
Die Welt ist kleiner als man denkt. Und jeder von uns trägt Verantwortung für den jeweils anderen. (Bild: Porapak Apichodilok/Pexels)
Der Management-Guru und einer meiner Vorbilder Tom Peters hat es für mich treffend beschrieben, als er sagte:
„I ride on the shoulders of giants.“
Da ich so ziemlich genau das tue, was Peters auch tut, geht es mir da ähnlich. Ich stehe auf den Schultern von Giganten. Meine Leistung ist das Proträtieren der Leistung anderer. Ohne sie könnte ich meine Talente nicht ausleben. Ohne sie wäre ich gar nichts. Ich hätte keine Daseinsberechtigung. Aus diesem Grund möchte ich positiven Einfluss auf meine Mitmenschen nehmen und sie dazu befähigen mit ihren Talenten ebenfalls positiven Einfluss auf andere zu nehmen.
Also, ja.
Ich esse verdammt langsam.
Und das hat einen verdammt guten Grund.
Neben meiner Frau kennst Du ihn jetzt auch.
Und vergiss nicht: Du hast immer Einfluss auf Deine Mitmenschen. Immer.
Sei freundlich.
Sei fürsorglich.
Sei geduldig.
Sei anwesend.
Sei positiv.
Verzeih.
Gehe in den Schuhen eines anderen, dann weißt Du, was in seinem/ihrem Leben gerade Sache ist.
(Titelbild: cocoparisienne/pixabay)
Kommentar schreiben