Führung im Zeitalter der Digitalisierung

Corona hat uns gezeigt, dass die Menschen durchaus auch von zu Hause produktiv arbeiten können. Die Ängste und Sorgen vieler Führungskräfte, dass die Mitarbeiter*innen zu Hause einen faulen Lenz machen würden, wenn sie die dauerhafte Gelegenheit dazu hätten, hat sich nicht bewahrheitet. Ganz im Gegenteil sogar.

 

Zahlreiche Studien zeigen, dass die Menschen zu Hause eher dazu neigen mehr zu arbeiten als zu wenig. Was unter anderem darin liegt, dass Arbeits- und Freizeit nicht mehr scharf getrennt wird. Früher hat man den Arbeitsplatz auf dem Firmengelände verlassen und war im Feierabend. Heute befindet sich das Firmengelände quasi im eigenen Wohnzimmer.

 

Und dennoch wollen viele Mitarbeiter*innen nicht mehr zurück ins Büro, jedenfalls nicht mehr jeden Tag. In dieser Hinsicht hat die Corona-Pandemie insbesondere den Büromenschen unter uns ein neues Arbeits- und Lebensgefühl gebracht. In den USA gingen zahlreiche Beschäftigte sogar so weit und kündigten, weil ihnen ihr Arbeitgeber die Homeoffice-Möglichkeit wieder entzog, als sich die Corona-Lage im Land wieder normalisierte. Stattdessen heuerten diese Menschen bei Unternehmen an, die es gewohnt sind, dass ihre Mitarbeiter*innen von überall auf der Welt arbeiten.

 

Eines dieser Unternehmen ist Netflix. Reed Hastings, der CEO von Netflix, erkannte bereits früh, dass er sein Unternehmen anders führen muss, als es die klassische Management-Schule vermittelt. Man könnte sogar sagen, er war dazu regelrecht gezwungen, wenn er den Fortbestand seines Unternehmens sichern wollte. Denn in seinem gut 20 Jahre langen Bestehen, musste das Unternehmen bereits drei Mal eine Kehrtwende hinlegen.

Nichts besteht ewig in der selben Form. Das Unternehmen Netflix musste sich in den letzten 20 Jahren drei Mal neu erfinden. Dies bedurfte einer besonderen Führungskultur, davon ist CEO Reed Hastings überzeugt. (Bild: stokpic/pixabay)

Seinen Ursprung hat das Unternehmen im Filmverleih. Die disruptive Idee war, den bis dato regional organisierten und filialbasierten Filmverleih mittels des Postversands anzugreifen. Anstatt teure Filialen zu unterhalten, verschickte Netflix die Filme per Post. Irgendwann wurde der Download von Filmen jedoch so günstig, dass das Unternehmen mit der Konkurrenz aus dem Internet nicht mehr mithalten konnte. Netflix nahm vom Postversand Abstand und entwickelte sich zur Download Plattform weiter.

 

Einige Jahre später mischte die Streaming-Technologie die Karten neu und Netflix sah sich wieder gezwungen eine Kehrtwende hinzulegen. Aus einer Download Plattform wurde eine Streaming Plattform. Mit zunehmendem Erfolg als Streaming Plattform explodierten jedoch die Rechtekosten für die Filme und Serien. Das Unternehmen drohte zwischen den hohen Rechtekosten und den niedrigen Abopreisen seines Dienstes zerrieben zu werden. Der Ausweg bestand darin, selbst zu einem Serienproduzenten zu werden. Ergebnis dieser Kehrwende sind Serienerfolge wie „House of Cards“ oder „Orange is the New Black“.

 

Hastings ist davon überzeugt, dass dies alles nicht möglich gewesen wäre, wenn er sein Unternehmen nach der klassischen Management-Schule geführt hätte, in der der Chef ansagt, wo es langgeht. In seinen Grundsatzreden zum Thema Führung wird er nicht müde, dies immer wieder hervorzuheben. So hat er selbst z.B. kein eigenes Büro. Stattdessen lässt er sich durch das Unternehmen treiben. Sucht sich immer wieder einen neuen Arbeitsplatz und kommt so mit den unterschiedlichen Mitgliedern seines Teams (11.300 Vollzeitbeschäftigte 2021) in Kontakt. Er tauscht sich mit ihnen aus. Hört zu. Stellt interessiert Fragen. Gibt Impulse. Und regt so durch sein eigenes Verhalten seine Mitarbeiter*innen dazu an, es ihm gleich zu tun.

Die Führungskräfte der neuen Generation nehmen sich zurück und geben ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Raum zum Finden von neuen Ideen und Lösungen. Sie lassen sich durchs Unternehmen treiben und stellen interessiert Fragen. Klassische Statussymbole interessieren sie nicht. Stattdessen erfreuen sie sich an den Erfolgen ihrer Projekte. (Bild: fauxels/Pexels)

Hastings gehört zweifelsfrei zu einem neuen Typ Führungskraft. Diesen Menschen sind Statussymbol egal. Stattdessen erfreuen sie sich an den Ergebnissen ihrer Projekte. Ihnen ist klar, dass sie nicht alles wissen können. Sie haben nicht die Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft. Also konzentrieren sie sich darauf ein Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiter*innen kreativ werden können, um die benötigten Lösungen zu erarbeiten. Was können sich Führungskräfte, die sich z.B. mit dem neuen Bedürfnis ihrer Mitarbeiter*innen nach mehr Homeoffice konfrontiert sehen, von Führungspersönlichkeiten, wie Hastings, abschauen? Drei Dinge, die sich bewehrt haben und den Einstieg erleichtern, sind:

 

 

Beziehungen

 

Hastings ließ sich bereits vor der Corona-Pandemie durch das Unternehmen treiben. Damit zeigt er Präsenz bei seinen Teams und aufrichtiges Interesse an ihren Projekten. Und insbesondere an ihren Herausforderungen, denn jeder von uns trägt ein Päckchen mit sich, privat und beruflich. Zur Erinnerung: Das Unternehmen hat 11.300 Mitarbeiter*innen (2021).

 

Gerade wenn man auf Distanz führen muss, wird die Beziehungspflege zu jedem einzelnen Beschäftigten immer wichtiger. Es wird wichtiger, weil das Team sonst droht auseinander zu fasern. Das haben wir auch bei uns in der Digitalagentur Niedersachsen gemerkt. Und deshalb unterschiedliche Formate eingeführt. Vom gemeinsamen Start in die Woche, über tägliche Kaffeetermine bis hin zu persönlichen Gesprächen.

 

Hastings ist übrigens nicht der einzige CEO eines multinationalen Unternehmens, der eine derartige Präsenz bei seinen Beschäftigten zeigt. Howard Schultz, der CEO von Starbucks, kennt ebenfalls den Stellenwert von „Präsenz zeigen“ bei seinen Beschäftigten: „I´m always stopping by our stores – at least 25 a week. I´m also in other places: Home Depot, Whole Foods, Crate & Barrel. I try to be a sponge to pick up as much as I can.“ Starbucks hat 33.800 Coffeeshops weltweit. Schultz besucht 25 in der Woche. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Dein Unternehmen deutlich kleiner ist. Und dennoch oder vielleicht gerade deshalb die Frage: Wie oft zeigst Du Präsenz bei Deinen Beschäftigten? Welche Ausreden hast Du es nicht zu tun?

Howard Schultz besucht 25 Starbucks Filialen pro Woche, um bei seiner Belegschaft Präsenz zu zeigen und sich vor Ort ein Bild davon zu machen, was seine Mitarbeiter*innen beschäftigt. (Bild: Dom J/Pexels)

Strukturen

 

Gerade bei der Führung auf Distanz gewinnen Strukturen einen neuen Stellenwert, da die ursprüngliche Struktur (Arbeitsweg, acht Stunden im Büro, Heimweg) wegfällt. Ohne Strukturen droht der persönliche Arbeitstag zu zerfasern, was die Arbeitsleistung wiederum mindert. Ich meine damit jedoch nicht, dass man die Mitarbeiter*innen in ein enges Struktur-Korsett stecken und überwachen soll. Jeder ist für seine persönliche Arbeitsstruktur selbst verantwortlich. Stattdessen sollte man die bereits weiter oben angesprochenen Formate (Gemeinsamer Start in die Woche, tägliche Standup-Meetings, persönlicher Austausch sowie Afterwork Aktionen) aufsetzen. Diese sorgen dafür, dass die Mitarbeiter*innen sich regelmäßig sehen und austauschen können, was die Arbeit auf Distanz zunehmend erleichtert.

 

 

Vertrauen

 

Und der wohl wichtigste Punkt ist das Vertrauen in die eigene Belegschaft, dass sie den Shit auch getan kriegt, der tagtäglich anfällt. Netflix misst z.B. bereits seit 2004 keine Arbeitszeiten und auch die Urlaubstage werden nicht gezählt. Entscheidend sind einzig und allein die Ergebnisse, die die Mitarbeiter*innen produzieren. Wenn das Ergebnis stimmt, dann muss man das andere nicht messen. Und damit sich keiner überarbeitet, gehen die Führungskräfte mit gutem Vorbild voraus und posten Bilder von ihren Reisezielen, sodass alle im Unternehmen sehen können, dass sie sich auch wirklich erholen und es ihnen gleichtun.

 

 

 

(Titelbild: terimakasih0/pixabay)

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