Deutschland: Die Werkbank der Digitalkonzerne

Der Forschungsbeirat der Plattform Industrie 4.0 veröffentlichte vor Kurzem eine Auswertung zum Fortschritt der Digitalisierung in den deutschen Industriebtrieben. Der Fokus der Auswertung lag auf den blinden Flecken, also warum zahlreiche Unternehmen die Digitalisierung nicht umsetzen. Neben den klassischen internen Umsetzungsproblemen, wie fehlende Kompetenzen, fehlende Digitalkultur und kein Geld, war ich überrascht zu sehen, dass 67 Prozent der Unternehmen sich bewusst gegen die Digitalisierung entschieden haben. Als Top-Grund für diese weitreichende Entscheidung wird die fehlende Rentabilität (45 Prozent) angeführt.

 

Natürlich kondensieren diese Zahlen die Realität und die Gründe, warum sich die deutschen Industrieunternehmen gegen die Digitalisierung entscheiden, dennoch finde ich es sträflich solch eine Entscheidung zu treffen, selbst wenn man Marktführer in einer Nische ist. Denn auch diese sogenannten Hidden Champions, täten gut daran, sich mit der Digitalisierung zu beschäftigen, wenn sie nicht als Werkbank der Digitalkonzerne enden wollen.

 

Ich persönlich habe den Eindruck, dass nach wie vor zahlreiche Unternehmen das Spiel des 21. Jahrhunderts mit den Spielregeln des 20. Jahrhunderts versuchen zu spielen und zu gewinnen. Spielen kann man es zwar so, aber gewinnen wird man es nicht. Was meine ich damit? Das Geschäftsmodell der deutschen Industrie ist von einer hohen Kapitalbindung und niedrigen Margen geprägt. Das ist ein Geschäftsmodell des 20 Jahrhunderts, genauer das Geschäftsmodell der industriellen Revolution. Das Geschäftsmodell des 21. Jahrhunderts ist hingegen von niedriger Kapitalbindung und hohen Margen geprägt. Das ist das Geschäftsmodell der digitalen Transformation. Letzteres wird möglich, weil die Unternehmen drei Dinge miteinander verbinden: Software, Hardware und Plattform.

Die Kombination aus Software, Hardware und Plattform ist auch für die deutsche Industrie ein vielversprechendes Geschäftskonzept. (Bild: Ahmed Aqtai/Pexels)

Apple zum Beispiel hat ein Betriebssystem (Software) für Smartphones entwickelt. Die selbst designten Smartphones (Hardware) lässt das Unternehmen günstig in Asien fertigen. Anstatt jedoch tausende von Entwickler fest einzustellen, um all die Apps für die Endnutzer selbst zu entwickeln, hat das Unternehmen eine Plattform aufgelegt, mit deren Hilfe externe Entwickler aus der ganzen Welt Apps entwickeln, an deren Erlösen Apple über die iOS Plattform verdient. Dieses Konzept gilt auch für alle anderen Apple Produkte, vom iPod über iTunes bis hin zum Apple TV.

 

Diese Kombination aus Software, Hardware und Plattform wird von allen führenden Digitalunternehmen genutzt, um neue Märkte zu erschließen und/oder bestehende anzugreifen. Doch auch in Deutschland existieren Unternehmen, die die Spielregeln des 21. Jahrhunderts verstanden haben und diese erfolgreich anwenden. Zwei deutsche Paradebeispiele sind der Stahlhändler Klöckner und die Fernbusplattform FlixBus.

 

Nach seiner Rückkehr aus dem Silicon Valley 2014 stieß der damalige CEO Gisbert Rühl die Transformation des Stahlhändlers Klöckner an. Das Unternehmen fing an eine eigene Software zu entwickeln, mit deren Hilfe der Stahlhandel digitalisiert wird. Zuvor war es in der Branche üblich, dass die Bestellungen per Telefon und Fax bei den Händlern eingingen. Zusätzlich fing Klöckner an die eigenen Lager abzubauen, um die Kapitalbindung zu reduzieren, denn das zukünftige Geschäftsmodell des Unternehmens sieht es vor, dass Klöckner als Vermittler zwischen Kunden und Stahlproduzenten auftritt. Dabei soll so wenig eigene Lagerhaltung betrieben werden, wie es geht. Und als dritten Punkt führte Klöckner eine Plattform (XOM Materials) ein, mit deren Hilfe das Unternehmen den eigenen Kundenstamm für andere Händler öffnete. So muss das Unternehmen nicht jede Art von Stahl selbst vorhalten. Im Gegenzug verdient Klöckner an jeder Transaktion, die über die Plattform abgewickelt wird. Durch dieses Vorgehen setzte Klöckner im vierten Quartal 2021 bereits 46 Prozent seines Umsatzes rein digital um und erwirtschaftete die Hälfte seines Börsenwerts als Reingewinn.

Die FlixBus Story zeigt, dass man mit der Kombination aus Software, Hardware und Plattform selbst Monopolisten erfolgreich angreifen kann. (Bild: Jonathan Borba/Pexels)

Die FlixBus Story sieht ähnlich aus. Mit der Öffnung des deutschen Fernbusmarktes ergriffen die Gründer von FlixBus die Chance ihres Lebens. Sie entwickelten eine Software, mit der man Bustickets einfach und bequem buchen konnte. Doch anstatt eine eigene Fernbusflotte aufzubauen, wie es der damalige Monopolist, die Deutsche Bahn, tat, verpflichteten die Gründer externe Fernbusunternehmen für ihre Plattform. Durch die zusätzlichen Aufträge konnten die Fernbusunternehmen ihre Fahrzeuge und Fahrer*innen besser auslasten. Je mehr Kunden ihre Tickets über FlixBus buchten, desto attraktiver wurde die Plattform für die Fernbusunternehmen. Und je mehr Verbindungen durch neue Fernbusunternehmen dazukamen, desto mehr Kunden zog die Plattform an. Ein sich selbst verstärkender Netzwerkeffekt setzte ein. Mittlerweile hat FlixBus die Fernbuslegende Greyhound aus den USA übernommen und greift die Deutsche Bahn auf der Schiene an, diesmal mit eigenen Zügen.

 

Es gibt keinen Grund sich gegen die Digitalisierung zu entscheiden. Die deutsche Industrie ist der Garant unseres heutigen Wohlstands. Der zukünftige Wohlstand ist jedoch davon abhängig, wie gut unsere Industrie die Spielregeln des 21. Jahrhunderts beherrscht.

 

 

 

(Titelbild: Pavel Chernonogov/Pexels)

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